Stuttgart 21 – „Oben ohne“ in die Zukunft

Das Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 mit dem Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs und der ICE-Schnellstrecke Stuttgart-Ulm erhitzt in Stuttgart schon seit einiger Zeit die Gemüter. Wir Junge Liberale fordern eine sachliche Diskussion dieses Themas und einen respektvollen Umgang zwischen Projektbefürwortern und -gegnern.
Die Jungen Liberalen Stuttgart sind überzeugt von der Notwendigkeit des Ausbaus der Magistrale Paris-Bratislave. Der derzeitige Stuttgarter Hauptbahnhof erschwert mit seinen wenigen Zufahrtsgleisen und der veralteten Trasse nach Ulm den Ausbau gesamteuropäischer Verkehrsnetze und die Wettbewerbsfähigkeit Baden-Württembergs. Daher begrüßen wir die Investitionsbereitschaft insbesondere der Bahn sowie des Bundes. Am Projekt Stuttgart 21 halten wir in seiner jetzigen Planung fest und lehnen einen Baustopp ab.
 
Die baulichen Risiken wurden im Rahmen des ausführlichen Planungsverfahrens im Vorfeld bereits eingehend geprüft und als beherrschbar eingestuft. Viele der heute von Projektgegnern angeführten Risiken stammen aus diesen Gutachten und wurden planerisch berücksichtigt.
Bei großen Bauprojekten steigen regelmäßig im Laufe der Planung die tatsächlichen Kosten. Da aber alle Investitionen der öffentlichen Hand einschließlich eines umfangreichen Risikonfonds bereits in allen Haushalten fest eingeplant sind und vertraglich gesicherte Verfahren bei einer weiteren Kostensteigerung bestehen, ändert dies zunächst nichts an der Umsetzbarkeit des Projekts. Die Amortisation eines Infrastrukturprojekts dieser Größenordnung erfolgt über einen sehr lange Zeitraum, weshalb auch zunächst astronomisch klingende Beträge wirtschaftlich sein können.
Die demokratische Legitimation von Stuttgart 21 ist durch mehrmalige Beschlüssen von breiten parlamentarischen Mehrheiten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gesichert. Über Anhörungen in baurechtlichen Verfahren, öffentliche Veranstaltungen und verschiedene Klagen von Verwaltungsgerichten konnten Bürger Einfluss auf das Bauprojekt nehmen, was im für Großprojekte üblichen Maß geschehen ist.
Zum jetzigen Zeitpunkt wurden bereits rechtlich bindende Genehmigungen für den Bauträger Deutsche Bahn erteilt, weiterhin bestehen vertragliche Verpflichtungen aus Grundstückskäufen und anderen Vereinbarungen. Ein einseitiger Abbruch des Projekts wäre klarer, wissentlicher Rechtsbruch und würde neben einem Verlust bereits investierter Mittel hohe Vertragsstrafen nach sich ziehen.
Freiwerdende Mittel aus einem Projektabbruch könnten außerdem keinesfalls in einen anderweitigen Ausbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs investiert werden, sondern würden laut Bundesverkehrswegeplan und entsprechender Bestimmungen auf EU-Ebene in andere Infrastrukturprojekte außerhalb Baden-Württembergs investiert.
Wir JuLis lehnen aber nicht nur einen Baustopp ab, sondern unterstützen das Verkehrsprojekt Stuttgart 21 ausdrücklich. Der geplante neue Bahnhof ist als Durchgangsbahnhof mit mehr Zufahrtsgleisen als beim bisherigen Kopfbahnhof deutlich leistungsfähiger. Durch die immensen freiwerdenden Gleisflächen erhält Stuttgart die Möglichkeit, mitten in bester Innenstadtlage ein neues Stadtviertel zu entwickeln. Dies schafft die Chance, zwei bisher durch das Gleisvorfeld nachhaltig getrennte Stadtviertel zusammenwachsen zu lassen sowie Wohn- und Gewerberaum in außergewöhnlich zentraler und damit verkehrsentlastender Lage zu entwickeln. Außerdem kann der Schlossgarten vergrößert und vom Fahrlärm der Züge entlastet werden.
 
Beim häufig als Alternative geforderten Erhalt des Kopfbahnhofs „K 21“ entfallen alle diese Vorteile. Stattdessen müssen weitere Gleise im Neckartal gebaut werden, die Esslingen oder wichtige Grüngebiete durchschneiden würden. Dazu kommt, dass zu dieser Variante noch keine fertigen Planungen bestehen und der Ausbau des Bahnhofs und der Schnellfahrtstrecke um mindestens 10-15 Jahre verzögert würde. Auch der finanzielle Aufwand wäre ähnlich hoch. 
Als Junge Liberale haben wir den Anspruch in die Zukunft zu blicken und vorausschauende Entscheidungen zu treffen. Für uns ist deswegen klar, dass wir unsere Aufmerksamkeit jetzt auf die noch ausstehende Planung für die Bebauung der freiwerdenden Gleisflächen richten, statt den Sinn und Nutzen des Gesamtprojekts in Frage zu stellen. Wir fordern alle Beteiligten, Befürworter sowie Gegner des Projekts auf, daran mitzuwirken. In diesem Prozess werden wir uns dafür einsetzen, ein lebendiges und sozial stabiles Stadtviertel für die neue Mitte Stuttgarts zu schaffen. Ein wichtiges Mittel dafür ist die Förderung von Bauherrengemeinschaften durch die Stadt um Vielfalt und Individualität zu ermöglichen.
Demokratisches Engagement auch gegen Widerstände verdient in jedem Fall unsere Unterstützung. Daher begrüßen wir die politische Auseinandersetzung breiter Bevölkerungsschichten mit dem Bauprojekt. An dem Umgang mit den Gegnern von Stuttgart 21 entscheidet sich für breite Schichten der Bevölkerung die Zustimmung zu unserem System der repräsentativen Demokratie, weshalb wir von allen Akteuren Respekt vor der Nutzung demokratischer Grundrechte erwarten.